Während der Lancia Delta HF Integrale in den 1990er-Jahren eine Sonderprüfungsbestzeit nach der anderen in die Rallyepisten knallte und jede nur denkbare Rallyemeisterschaft dies- und jenseits von Italien gewann, ließen sich die Topmanager der Marke zu ihren Vorstandmeetings in einem Lancia Kappa SW Turbo kutschieren. Nur weniger als 10.000 Einheiten des von Pininfarina gestylten Kombis wurden (ebenfalls bei Pininfarina) gebaut. Doch obwohl die Turboversion vom gleichen Lampredi-Zweiliter-Vierzylinder wie der Integrale angetrieben wurde, blieb der Kappa unter dem Radar vieler Lancisti – und tut das bis heute. Antoine Minard, ein junger Motorjournalist beim bekannten französischen Classis Car-Magazin La Vie de l’Auto, will das ändern. Denn er hat gerade die Stärken dieses vielseitigen italienischen „Super Wagons“ entdeckt.
Was sind Ihre frühesten automobilen Erinnerungen?
Meine Großeltern lebten in Bayonne an der französischen Südwestküste und gleich nebenan gab es eine Ferrari Vertretung. Jedes Mal, wenn ich sie besuchte, schaute ich da vorbei und ich erinnere mich, den neuen 456 GT, aber auch den 348 Spider, den F50 und den 550 Maranello gesehen zu haben. Der gleich daneben gelegene Händler verkaufte Jaguar und Maserati. Im Grunde war die ganze Gegend voller fantastischer Autos. Dazu kam, dass ich alle zwei Jahre mit meinem Vater den Pariser Salon besuchte. Die Erinnerung an meinen Besuch im Jahre 1994, da war ich gerade vier Jahre alt, und speziell an einen hell-violetten Lamborghini Diablo SE30 ist nie verblichen.
Können Sie uns etwas zu Ihrem beruflichen Hintergrund erzählen?
Ich bin Redakteur bei La Vie de l’Auto, ein französisches Wochenmagazin für klassische Automobile, das seit 1976 herausgegeben wird. Wir berichten über kleine und große Events, Auktionen, historischen Motorsport und vieles mehr. Ich denke den ganzen Tag über alte Autos nach!
Was hat Sie dazu bewogen, einen Lancia Kappa zu kaufen?
Es war keine vorsätzliche Entscheidung, zumindest nicht komplett. Als Liebhaber italienischer Autos besaß ich bereits einige Alfa Romeo, Autobianchi und Lancia. Ich suchte nach einem Kappa Coupé, einem V6 oder einem Turbo. Mehr zum Spaß, weil ich seine Plumpheit und seine barocken Linien mochte. Eines Tages kam ein Freund mit seinem Kappa SW 2.0 Turbo vorbei und ich konnte mich nicht mehr genau daran erinnern, wann ich zum letzten Mal einen gesehen hatte. Ich fragte ihn halbherzig, ob er zum Verkauf stünde, und eine Woche später war er meiner. Einen großen Kombi zu haben ist immer praktisch.
Wie würden Sie Ihr Auto jemanden beschreiben, der noch nie zuvor einen Kappa SW gesehen hat?
Als ein von Pininfarina gestyltes italienisches Sofa, angetrieben von einem Delta Integrale Evo 2-Motor! Mehr als nur einmal ist ein Kombi schöner gestylt als eine Limousine. Der Kappa SW war darauf ausgelegt, lange Distanzen möglichst komfortabel zurückzulegen. Doch so absurd es klingen mag: Der Motor ist laut und brutal, mit einem old-school-artig arbeitenden Turbolader. So steht die Leistung im Kontrast zum luxuriös-plüschigen Innenraum. Der Kappa SW war der nobelste italienische Kombi seiner Generation, eine Co-Produktion von Lancia und Pininfarina, aber produziert im Turiner Werk des Designhauses, ebenso wie der Thema SW, der ihm vorausgegangen war.
Warum ist die Spezifikation Ihres Kappas so besonders?
Der Kappa SW wurde auf dem Turiner Salon von 1996 präsentiert. Damals waren sich die Autojournalisten einig, dass er besser aussah als die Limousine. Und ich stimme ihnen voll zu! Da Italien Motoren mit über zwei Litern stark besteuerte, war der kraftvollste Antrieb ein bekannter und hauseigener Vierzylinder. Der Lampredi 2.0 16V Turbo in seiner Version mit 205 PS und Katalysator debütierte im Thema und trieb am Ende die Delta HF Integrale an, die zwischen 1987 und 1991 fünf Rallye-WM-Titel einfuhren.
In Frankreich war der Kappa SW 2.0 Turbo nur in der an das manuelle Getriebe geknüpften LX-Ausstattung erhältlich. Sie umfasste eine Lederpolsterung von Poltrona Frau, elektrische Sitzheizung mit Memory-Funktionen und blau getönte Solextra-Scheiben. Pininfarina setzte ein starkes Designzeichen, indem sie den Kofferraum als Teil des Innenraums gestalteten. Er ist daher vollständig mit dickem Teppichboden ausgekleidet. Außen ist der Wagen an seinen Speedline Felgen zu erkennen, und ich liebe auch diesen beige-grauen Metalliclack, offiziell „Grigio Mercury“ genannt.
Welches Erbe hat der Kappa hinterlassen?
Laut Angaben von Lancia wurden in Frankreich nur 68 Kappa SW 2.0 Turbo neu verkauft. 1997 kostete solch ein Wagen 266.000 Franc, rund 55.000 Euro in heutiger Währung. Und das war noch ohne jegliche Extras – er war teurer als ein BMW 528i Touring. Im Sommer 1997 wurde der Lampredi Motor auf dem Altar verschärfter Umweltgesetze geopfert und aufs Altenteil verbannt. Zusammen mit dem Fiat Coupé und dem Lancia Delta HF Integrale war der Kappa das letzte Modell mit dem legendären, von Aurelio Lampredi entwickelten Triebwerk unter der Haube.
Welche anderen Fahrzeuge besitzen sie und wie sind sie im Vergleich zum Kappa?
Ich liebe die Autos aus meiner Kindheit und die aus den 1980er- und 90er-Jahren sind meine ganz besonderen Lieblinge. Am längsten in meinem Besitz ist ein Volkswagen Golf GTI Baujahr 1984. Im letzten Herbst „rettete“ ich einen MG ZS 180, ein erstaunlicher und zu Unrecht vergessener Sportwagen, angetrieben vom letzten Rover-V6. Der Wagen dominierte für einige Jahre die britische Tourenwagen-Meisterschaft und viele Zuschauer sagen noch heute, dass sein Motorensound der beste in der Geschichte der Meisterschaft gewesen sei. Ich hatte ja immer ein Faible für italienische Modelle, selbst für die abgedrehten. Dazu gehörte ein Alfa Romeo 75 3.0 V6 America, aber ich besaß auch einen Bertone Freeclimber und einen Fiat Seicento Sporting Abarth, letzterer war ein Geschenk zu meinem 30. Geburtstag. Der Kappa jedoch ist der schnellste und komfortabelste von allen und dient ehrenvoll als Nutz- und Zugfahrzeug, wie heute, wo wir einem Freund helfen, seinen wunderschönen Delta Integrale zu transportieren.
Ist Ihrer Meinung nach Lancia endlich wieder „great again“?
Zumindest in den Herzen der Fans! Wenn Sie die schönsten alten Lancia auf Auktionen oder historischen Events sehen, oder brillante Projekte wie den Delta Futurista von Eugenio Amos oder Michael Stoscheks modernen Stratos, wird Ihnen bewusst, dass die Marke ihren festen Platz in der Automobilgeschichte einnimmt. Wird Fiat und seine Allianz mit PSA helfen, die Marke wiederzubeleben?
In der jüngeren Lancia Geschichte hat der Delta HF Integrale die anderen Modelle der 1980er- und 90er-KJahre durch seinen Ruhm und seine Erfolge fast vollständig in den Schatten gestellt. Wir können über den geheimnisvollen Hyena von Zagato sprechen, doch wer erinnert sich an die zeitgenössischen Großserienmodelle? Der Kappa war zu diskret, um volle Anerkennung zu erlangen, ebenso wie der Thema. Er erhielt nie die Chance für den Einbau eines Ferrari-V8 – wie im Thema 8.32 – oder eines Allradantriebs. Doch er bleibt das ultimative Produkt aus der Zusammenarbeit zwischen dem Lancia Werk und Pininfarina – eine Partnerschaft, die 1947 mit der Aprilia Bilux Limousine begann und danach den Aurelia B24 Spider, Florida, Flaminia, Flavia, Gamma und fantastische Konzeptstudien wie den Olgiata Shootingbrake hervorbrachte.
Fotos: Amaury Laparra für Classic Driver © 2020