Mal angenommen, Sie planen die Winterferien in diesem Jahr erneut in Ihrer Lieblingsregion im Engadin zu verbringen. Dann stehen die Chancen ziemlich gut, dass größere Schneemengen das Vorankommen mit dem Auto erschweren. Wer mit den typischen deutschen Nobelmarken anreist, hat dank verfügbarem Allradantrieb kein Problem zu befürchten. Schwört man hingegen auf die englische Art der Marke Jaguar, blieb bislang nur der Umstieg auf die Geländewagenmodelle von Land Rover.
Doch das ist bald vorbei, denn Jaguar hat seine Hausaufgaben im Premiumsegment endlich erledigt und stellt rechtzeitig zur Skisaison den ersten XJ mit Allradantrieb vor. Das der Antrieb der Vorderachse immense Geburtswehen bei den Briten verursacht hat, wird durch die umständliche Konstruktion schnell deutlich. Das Problem lag für die Jaguar-Ingenieure im Layout des XJ, dessen Motor weit nach hinten versetzt ist – gut für eine optimale Gewichtsverteilung, aber schlecht für den zusätzlichen Antrieb der Vorderräder. Hinzu kam, dass Jaguar das Allradsystem bei der Konstruktion des XJ nicht eingeplant hatte, weshalb umfangreichste Änderungen im Bereich der vorderen Bodengruppe und der Vorderachse notwendig wurden.
Die gefundene Lösung mutet dann auch wie aus dem Zubehörregal an. Allradspezialist Magna spendierte eine Lamellenkupplung, die an das serienmäßige 8-Gang-Automatikgetriebe angeflanscht wird und über eine kleine Zwischenwelle ein außen an den neuen V6-Kompressormotor angebrachtes Differential antreibt. Dieses gibt seine Kraft quer durch die Ölwanne des Motors an die beiden Vorderräder weiter. Beaufschlagt wird die variable Kraftverteilung von einem Steuergerät, was seine Spione an den Rädern, der Lenkung und dem Gaspedal hat und so die ideale Mischung der Momentenverteilung an Vorder – und Hinterachse vornimmt. Konstruktionsbedingt kann der XJ AWD zwar nicht die vollständige Kraft an die Vorderachse schicken, doch für eine Steigerung der Fahrsicherheit in kritischen Situationen soll es reichen. Neu ist dieses rund 116 Kilogramm schwere System indes nicht. BMW baut seit Jahren seine erfolgreichen Xdrive-Modelle nach diesem Prinzip, was die Hoffnung nährt, das das Ergebnis auch bei Jaguar befriedigen dürfte.
Und tatsächlich, fährt der dank eines neuen 3,0 Liter V6-Kompressormotors auf 340 PS erstarkte Allrad-Jaguar wie auf Schienen. Egal ob Schnee oder vereiste Fahrbahn, der XJ zieht unbeirrt seine Kreise, ohne jemals unbeherrschbar mit dem Heck auszubrechen oder seinen Fahrer vor unlösbare Aufgaben zu stellen. Eine sorgfältige Abstimmung der Elektronik garantiert dabei ein Maximum an Fahrsicherheit und Traktion, ohne den markentypischen Fahrspaß zu ersticken. Geht es dennoch mal zu schnell in die Kurve, bremst das System die schwere Limousine durch gezielten Eingriff ab, bevor die Fuhre ins Rutschen kommt. Das funktioniert solange gut, bis der Fahrer aus falsch verstandenem Übermut das vorbereitete Winterprogramm verlässt und sämtliche elektronischen Fahrhilfen per Tastendruck abschaltet. Diese Einstellung, eigentlich für die trockene Rennstrecke gemacht, lässt auch den Jaguar XJ AWD bei Glätte zu einer schwer kontrollierbaren Flipperkugel werden, die schnell einmal abseits der Straße ihre (meist teure) Bahn sucht.
Wer hingegen auf derlei Unvernunft verzichtet, erhält mit dem Jaguar XJ AWD trotz der konstruktiv umständlichen Lösung eine Reiselimousine der besonderen Art, die nun auch bei jedem Wetter einsetzbar ist. Die hochwertige Verarbeitung in Kombination mit dem Sechszylinder-Kompressormotor, der die früheren V8-Saugmotoren ersetzt, macht aus dem XJ vor allem in der rund 96.000 Euro teuren Langversion eine angenehme Ausnahmeerscheinung im sonst eher faden Sortiment der Oberklasselimousinen. Wem hingegen die Ausmaße des XJ und dessen Preis zu hoch sind, dem bleibt die Möglichkeit, den kleineren Bruder, den Jaguar XF, ebenfalls mit Allradantrieb und dem 340 PS V6-Kompressormotor zum Preis von 57.000 Euro zu ordern. Dieses Modell verfügt im Innenraum zwar über deutlich weniger Platz, stellt aber in seinem Segment eine durchaus überlegenswerte Alternative dar.
Bleibt zum Abschluss nur zu hoffen, dass der Einsatz der Allradtechnik bei Jaguar nicht zu Lasten der Konzerntochter Land Rover geht, denn einen Grund, sich deren Modell als Zweitwagen für den Winter anzuschaffen, gibt es jetzt für den Jaguar-Fahrer eigentlich kaum noch.
Fotos: Nick Dimbleby