Um es gleich vorweg zu sagen: Die Qualität der von Herstellern wie Händlern in diesem Jahr bei der Rétromobile ausgestellten Fahrzeuge war so hoch wie nie zuvor. Die traditionelle Saisoneröffnung an der Seine ist zugleich ein fantastischer Ort, um die Begeisterung für klassische Autos geradezu hautnah zu spüren. Wo sonst kann man bekannte Gesichter aus den höchsten Kreisen unserer „Welt“ dabei beobachten, wie sie nach Modellautos suchen, durch obskure Automobilia stöbern oder sich nach erschwinglichen und zum Verkauf stehenden Klassikern umschauen?
Einige der großen Hersteller haben die Rétromobile als wichtige Bühne entdeckt, um ihr Bekenntnis zur eigenen Markenhistorie gebührend zu demonstrieren. Und zurecht, ist doch die Pariser Messe das klassische Pendant zum Genfer Salon. Niemand fuhr größer auf als Citroën, wo zum 100-jährigen Firmenjubiläum eine eindrucksvolle Palette der wichtigsten Modelle mit dem Doppelwinkel gezeigt wurde. Während ein DS mit Chapron-Karosserie immer für weiche Knie sorgt, beeindruckte uns besonders die ungewöhnliche Studie GS Camargue, der erste bei Bertone gestylte Citroën und optisch dem Lancia Sibilo, Marcello Gandinis Space-Age-Meisterwerk auf Stratos-Basis, sehr ähnlich.
Bemerkenswert auch der Stand von Bugatti. Vor allem, weil dort erstmals der vor 30 Jahren vorgestellte EB 110 ausgestellt wurde. Es scheint, dass Volkswagen zum 110. Geburtstag von Bugatti die Bedeutung des heute 86-jährigen Romano Artioli und seiner Bugatti-Fabrik in Campogalliano für die Wiedererweckung der legendären Marke nun anerkennt. Der Gesinnungswandel wurde nicht zuletzt durch einen Besuch Artiolis Anfang des Monats in Molsheim unterstrichen, wo ihn Bugatti Chef Stephan Winkelmann als „lebende Bugatti-Legende“ pries. Dazu gab es eine Fotosession mit einem EB110 vor dem Chateau St. Jean.
Auch Renault ließ sich beim Heimspiel nicht lumpen und warf einen Blick zurück auf seine aufregendsten Turbo-Modelle. Allen voran den RS01 Formel 1 von 1979. Die Polo Storico Abteilung von Lamborghini zog das Tuch von einem Miura SV, den man im Auftrag von FIA-präsident Jean Todt restauriert hat. Und wussten Sie, dass BMW 1958 einmal ein vom 507 inspiriertes Holzboot mit Riva-Anklängen herstellte? Gebaut von der Rambeck-Werft am Starnberger See und ausgestattet mit dem Motor des legendären Roadsters? Nun, wir hätten nie gedacht, dass der 507 einmal in den Schatten gestellt werden könnte, doch im direkten Vergleich zu seinem maritimen Counterpart wirkte er wie ein Fußgänger!
Natürlich versteht sich die Rétromobile in erster Linie als Verkaufsmesse. Und wie Sie sich vorstellen können, waren zahlreiche Classic Driver Händler aus Europa und von noch weiter her präsent. Beispiel Historic Cars aus Paris, die zu Ehren des 100. Geburtstags von Zagato eine Reihe von Alfa Romeo mit Karosserien des Mailänder Designhauses posieren ließen. Dazu den einzigen von drei in Köln aufgebauten Ford Capri RS 2600, der zweimal (1972 und 1973) die 24 Stunden von Le Mans bestritt.
Ascott Collection zeigte mit dem Lola T600 einen der ersten Prototypen mit Ground Effect – zuletzt gesteuert von Firmengründer Xavier Micheron bei Le Mans Classic 2018. Ein Highlight im üppigen Buffet von Auxietre & Schmidt war ein spezieller Maserati 250F. Genauer gesagt das Modell, mit dem Stirling Moss 1955 zum Sieg beim Oulton Park Gold Cup fuhr und das später auch noch von Jean Behra, Peter Collins und sogar Carroll Shelby bewegt wurde. Der wunderbar originalgetreue Monoposto hatte zuvor vier Jahrzehnte in der leider inzwischen geschlossenen Donington Grand Prix Collection in England gestanden.
Ein unübersehbarer Trend bei der diesjährigen Rétromobile war die gewachsene Zahl an klassischen und modernen GT-Rennwagen. Wie gerne würden wir die von Mécaniques Modernes & Classiques angebotene Dodge Viper in der diesjährigen Global Endurance Legends Series einsetzen. Oder alternativ den bei Gallery Aaldering stehenden Ferrari F40 mit nur zwei Vorbesitzern. Infrage kämen aber auch der monströse Saleen S7R von Springbok Sportwagen und – obwohl etwas älter kaum weniger eindrucksvoll – ein bei Hödlmayr Classic Car Center wartender BMW M1 Procar. Zu seinen Glanzzeiten von Dieter Quester und Rolf Stommelen pilotiert.
Wer nach dem Erlebnis lechzt, einen Rennwagen auf öffentlichen Straßen bewegen zu dürfen, fand bei The Cultivated Collector aus Connecticut reichlich Auswahl. Wir sind Firmengründer Matthew Ivanhoe sehr dankbar, dass er mit seinen Jungs den ganzen langen Weg von New England nach Frankreich zurückgelegt hat. Denn nicht nur brachte er einen Jaguar XJR-15 und Mercedes-Benz CLK GTR AMG über den großen Teich, sondern als Highlight den Schuppan 962, einen der wenigen von Porsche gebauten 962 mit Lizenz für die Straße.
Wer nach einem Porsche 356 Ausschau hielt, steuerte am besten direkt die glorreiche Sammlung von Serge Heitz Automobile Consulting an. Derweil erinnerte uns Eleven Cars mit einem betörenden Exemplar in dunkelblau, wie unscheinbar elegant doch der Ferrari 365 GTC/4 ist. Und wäre man nicht stolz darauf, neuer Besitzer eines bei Movendi offerierten Porsche 911 Carrera 2.7 RS zu sein, der sage und schreibe 14 Mal die Tour de France Automobile bestritten hat?
Um noch kurz bei Porsche zu bleiben: Der Ex-Werks 904 GTS mit Sechszylinder-Motor von Aguttes war wirklich etwas Besonderes. Das Auto war 28 Jahre lang im Besitz desselben Mannes und belegte 1964 hinter zwei Ferrari Platz drei bei der Tour de France (mit Buchet/Linge) und 1965 bei den 12 Stunden von Sebring Platz zwei in seiner Klasse. Ruote da Sognos Stand wartete mit jener ausgefallenen Mischung aus Autos und Motorrädern auf, die man inzwischen vom italienischen Mega-Händler fast schon automatisch erwartet, während bei Auto Storica Barcelona ein Vorkriegs-Blower Bentley herausstach.
Der einzige Mercedes-Benz 300SL, der noch mehr Aufsehen erregte als Arthur Bechtels Roadster in mattgrau mit schwarzem Hardtop stand auf dem Stand von HK Engineering. Ein Flügeltürer, der bei einem 40 Jahre zurückliegenden Unfall größere Blessuren im Heckbereich davongetragen hatte. Zum Glück wissen die Gullwing-Spezialisten rund um Firmengründer Hans Kleissl besser als jeder andere, wie man so was wieder akkurat richtet.
Als sich die Nachricht vom ersten Auftritt Simon Kidstons auf der Rétromobile verbreitete, ahnten wir schon, dass es ein Feuerwerk geben würde. Und das gab es dann auch in Form des von ihm so getauften „Miuraland“: eine mit purpurfarbigem Teppich ausgeschlagene und vom bekannten Goodwood-Designer Peter Russell entworfene Traumlandschaft, vollgestellt mit den weltweit schönsten Lamborghini. Darunter der zweitälteste noch existierende 350 GT (komplett mit originaler 2+1-Sitzanordnung), der einzige originale Miura Roadster und der Miura SVJ, der zunächst dem Shah von Persien und später Nicolas Cage gehörte. Laut Kidston der wohl wertvollste Lambo des Planeten.
Es ist sicher nicht übertrieben festzustellen, dass all das bislang Erwähnte vom Schweizer Händler Lukas Hüni noch überstrahlt wurde. Dessen weitläufiger Stand erzählte nicht nur die nahezu komplette Geschichte von Lancia, sondern glänzte als Hommage zum Hundertjährigen auch mit einer exquisiten Sammlung von Chapron Citroën. Doch mal ehrlich: Haben Sie jemals erlebt, wie Lancia Stratos in allen Farben des Regenbogens Seite an Seite stehen?
Die Rétromobile lockt auch immer eine große Zahl englischer Händler an – 2019 war da keine Ausnahme. Fiskens kehrte mit einem Haufen frisch eingekaufter neuer Modelle zurück und betonte so seine ambitionierten Ziele für das neue Jahr. Speerspitze war eindeutig der Aston Martin DB4GT Zagato, einer von nur 19 Exemplaren und ursprünglich von Dr. Elio Zagato, Sohn des Firmengründers Ugo, geordert. Das Modell unterscheidet sich von den anderen bei Zagato entworfenen DB4 GT durch eine zentrale Motorhaubenhutze anstelle der sonst üblichen drei Höcker.
Gleich nebenan ließ sich auch Girardo & Co nicht lumpen. Los ging es mit einem „echten“ Jaguar E-Type Lightweight, einem Maserati MC12 Corsa und einem Lancia 037 Gruppe B in Olio Fiat-Farben. Dazu kamen gleich mehrere Alfa Romeo Tipo 33, darunter der TT12, zu dessen sechs Gesamtsiegen auch der Triumph bei der (allerdings nur noch zur italienischen Meisterschaft zählenden) Targa Florio von 1975 zählt. Ein weiterer Rétromobile-Debütant war Dylan Miles, dessen Aston Martin DBRS9 fast genauso viele Blicke auf sich zog wie sein „Bodmin Brough“ Superior Motorrad.
Last but not least dann noch William I’Anson, dessen Sahnehäubchen aus dem Ex-Werks-BRM P578 bestand, mit dem Richie Ginther 1963 ex-aequo mit Teamkollege Graham Hill Vize-Weltmeister in der Formel 1 wurde. 1964 ging das Auto an die private Scuderia Centro Sud, für die dann Gregory, Baghetti, Maggs, Scarfiotti und Bianchi ins Lenkrad griffen. Als dann 1965 Jo Siffert den BRM erwarb, hatte er in 34 Grand Prix fast 16.000 Kilometer im Renntempo abgespult.Zum Verkauf angeboten mit seiner Original-Karosserie aus Elektron Magnesium in extrem charmanter Patina ist die historische Bedeutung dieses Grand Prix-Veteranen nicht hoch genug einzuschätzen.
Die Rétromobile wurde also auch 2019 ihrem Ruf als perfekter Auftakt zur kommenden Event-Saison gerecht. In der wir dann hoffentlich einige der in Paris gezeigten Autos auf Rennstrecken in Europa und anderswo live in Aktion erleben werden. William I’Anson gebührt das letzte Wort: „Man muss sich nur all die tollen hier ausgestellten Autos und die vielen hochrangigen Besucher anschauen, um festzustellen, dass dies noch immer die beste statische Classic Car Show weltweit ist. Die Qualität ist in diesem Jahr besonders hoch, aus dem einfachen Grund, dass der Appetit auf die größten Autos wohl nie größer war. Das bedeutet, dass auch wir alle beschäftigter sein werden denn je. Was aber mit Blick aufs neue Jahr nur positiv sein kann.“
Fotos: Mathieu Bonnevie für Classic Driver © 2019