der traditionsreichen Uhrenmarke A. Lange & Söhne auf junge, einflussreiche und charismatische Automobilsammler der nächsten Generation. In unserer ersten Folge sprach er mit Duccio Lopresto über den familieneigenen Alfa Romeo Giulietta SS Prototipo, der 2017 beim Concorso d’Eleganza Villa d’Este zum „Best of Show“ gewählt wurde.
Katie Forrest und ihr Rolls-Royce Silver Ghost von 1912 sind die Stars der zweiten Episode von „Talk to the Driver“. Beim letztjährigen Concours of Elegance im Hampton Court Palace gewann „Nellie“ – wie sie ihren 106 Jahre alten Rolls-Royce liebevoll nennt – die Club Trophy. Auch beim diesjährigen Concours of Elegance, der erstmals von A. Lange & Söhne präsentiert wurde, war sie als Ehrengast dabei.
Beim ersten Treffen mit Katie brennt uns vor allem eine Frage auf den Lippen: Woher stammt der Name Nellie? „Als das Auto Teil der Familie wurde, kam es aus Indien und war groß, grau und sah aus wie der Elefant Nellie aus dem berühmten Kinderbuch“, erklärt uns Katie. In der Tat wurde der Silver Ghost 1912 neu von der Rolls Royce-Vertretung in Bombay bestellt. Ausgestattet war das eindrucksvolle Automobil mit einer Reihe einzigartiger Features, um auf einem Markt, den die Briten erst noch erobern wollten, die Vielseitigkeit und den Luxus der Marke zu demonstrieren. Offiziell getauft wurde der Ghost auf den Namen „Taj Mahal“.
„Nellie erhielt ein auf das heiße tropische Klima ausgelegtes Elektriksystem, eine höhere Bodenfreiheit für die teils sehr schlechten Straßen und gitterartige Schmutzfänger, die verhindern sollten, dass Huftritte oder Dreckspritzer von heiligen Kühen die komfortabel reisenden Passagiere störten“, weiß Katie. Der Rolls-Royce kam dann auch prompt in den Fuhrpark des Maharadschas von Nabha, wo er bis in die frühen 1990er Jahre verblieb, bis Katies Vater ihn nach einer zweijährigen Suche nach dem passenden Silver Ghost für die Teilnahme an einer speziellen Alpen-Rallye zurück „nach Hause“ holte.
„Als er Nellie fand, war es Liebe auf den ersten Blick“, erinnert sich Katie. „Sie war natürlich noch nicht in diesem makellosen Zustand wie heute. Kein Wunder, war sie doch jahrzehntelang weggesperrt worden und trug eine schlachtschiffgraue Lackierung, die ihr die Royal Air Force, in deren Dienste sie während des Ersten Weltkriegs für kurze Zeit getreten war, verpasst hatte.“ Vielleicht wenig überraschend verbrachte Katie große Teile ihrer Kindheit auf der Rückbank des Rolls-Royce. Zusammen mit ihrer Schwester unternahm sie Fahrten durch ganz England und Europa, ja sogar Australien. Insgesamt hat Nellie seit Eintritt in die Familie stolze 120.000 Kilometer zurückgelegt.
Es dauerte aber einige Jahre, ehe die verständlicherweise zunächst noch etwas ängstliche Katie das gewaltige Automobil zum ersten Mal selbst fahren durfte. Nach einem allzu kurzen Crashkurs, begleitete sie ihren Vater auf einer 3.600 Kilometer langen Tour durch Frankreich. Katie war spontan begeistert. „Du musst das Auto mechanisch verstehen, erst dann kannst Du es wirklich fahren“, erklärt sie. „Es unterscheidet sich diametral von modernen Autos – es hat keine Servolenkung, zwei unterschiedliche Bremskreise und kein synchronisiertes Getriebe.“ Katie konsultierte zum besseren Verständnis sogar die zeitgenössische Betriebsanleitung, die ursprünglich für den Chauffeur gedacht war und ihm helfen sollte, das Auto sicher auf der Straße zu halten.
An diesem Punkt, während Katie an verschiedenen Schaltern und Hebeln herumdoktert, um Nellie aus ihrem Schlummer zu wecken, werden die Parallelen zwischen ihrem über 100 Jahre alten Auto und der an ihrem Handgelenk sitzenden A. Lange & Söhne 1815 Annual Calendar offensichtlich. Ästhetisch betrachtet hat die per Hand aufzuziehende Uhr mit ihren analogen Anzeigen für Tag, Datum und Monat sowie der auf 122 Jahre exakt gehenden Mondphasenanzeige viel gemeinsam mit der am Armaturenbrett des Rolls-Royce montierten Taschenuhr – beispielsweise die sehr ähnliche Minutenskala. „Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen einer mechanischen Uhr und einem klassischen Rolls-Royce“, sagt Katie. „Bei beiden geht es um die Liebe zum Detail und das Streben nach mechanischer Perfektion, speziell in Bezug auf Zahnräder und eine ausgewogene Balance.“
„Ich bekam Stilaugen, als ich zum ersten Mal durch die Manufaktur von A. Lange & Söhne ging – es war absolut faszinierend. Jede Person hat eine spezielle Aufgabe, die darin besteht, jedes Detail absolut korrekt auszuführen. Und ich garantiere Ihnen, dass dies vor über 100 Jahren bei Rolls-Royce ganz genauso war. Ich denke, es ist die Passion der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den von ihnen hergestellten Produkten zu Langlebigkeit verhilft. Erst so werden Automobile und Uhren zu zeitlosen Objekten. Ginge es nach ihren Besitzern, würden sie wohl für immer weiterlaufen.“
Für Katie ist es daher unverzichtbar, alte Autos und mechanische Uhren am Laufen zu halten. Diese Botschaft richtet sie auch an die nächste Generation. Ihre persönliche Geschichte ist unwiederholbar. Um so mehr sind wir ihr und ihrer Familie dankbar, dass sie den „großen grauen Elefanten“ weiterhin ausführt und so vielen Menschen mit dem Anblick von Nellie dem Rolls-Royce eine Freude bereitet.
Und wir sind definitiv nicht allein. Beim Concours of Elegance 2018 in Hampton Court, der von A. Lange & Söhne präsentiert wurde, gewannen Katie und Nellie den RAC Spirit of Motoring Award. „Meine Mutter und ich vergossen Freudentränen“, bekennt Katie. „Wir wissen, wie speziell Nellie ist, daher bedeutete uns diese Auszeichnung ganz besonders viel.“
Video: Kai Klinke für Classic Driver / Fotos: Tom Shaxson und Rob Cooper für Classic Driver © 2018