Vergessen Sie Vollgas-Orgien auf kurvigen Landstraßen – wenn Sie ein Auto wirklich kennenlernen wollen, fahren Sie durch die Waschstraße. Doch nochmals zurück: Nach 24 Stunden auf dem Fahrersitz hat mich der Aston Martin DB11 auf allen Ebenen überzeugt. Sogar als coolstes mobiles Office der Welt war der Gran Turismo auf meiner Fahrt durch den Eurotunnel zu gebrauchen gewesen – ja wirklich, ich bin hier tatsächlich beruflich unterwegs! Doch Flitterwochen können nicht ewig dauern. Und obwohl mir der 600 PS starke V12 beim Starten und Überholen noch immer in den Fingern kribbelte, wusste ich doch um das Schicksal jeder längeren Beziehung zu einem Automobil: Irgendwann steigt man aus – und dreht sich nicht einmal mehr um. In diesem Fall sollte mich meine Erfahrung jedoch trügen.
Hier stehe ich also in einem Industriegebiet irgendwo in Frankreich und wasche mit einem Hochdruckreiniger die Fliegen von der grimmigen Schnauze eines Aston Martin, während ein amüsierter Teenager nebenan sein Mountainbike säubert – und noch immer finde ich meinen Continental Cruiser schlicht wahnsinnig attraktiv. Eigentlich schlägt mein Herz ja für klassische Automobile. Und während mich moderne Sportwagen mit ihrer schieren Kraft faszinieren, sind es doch meist klassische Formensprachen, die mich für ein Auto warm werden lassen. Dem Aston Martin DB11 ist nun das Kunststück gelungen, das nur wenigen seiner Zeitgenossen vergönnt ist: Er fasziniert – egal ob man nun hinter dem Steuer sitzt oder ihn nur aus der Ferne betrachtet.
Mit derartigen Gedanken im Kopf und einem frisch gewaschenen Gentleman-GT unter dem Allerwertesten nähere ich mich nun zügig meinem ersten Tagesziel in Frankreich – dem historischen Circuit de Reims-Geux. Die alten Boxen und Tribünen sind zu einer Pilgerstätte für Automobilisten geworden. Was man auf den zahllosen Bildern in Magazinen und auf Instagram nicht sieht: Die halb verfallenen Gebäude mit ihren Werbebotschaften aus einer längst vergangenen Zeit liegen am Rande einer schöden, zweispurigen Landstraße. Ich bin nicht enttäuscht, aber doch ein wenig ernüchtert über die Tatsache, wie lange die goldene Epoche des europäischen Rennsports nun schon zurückliegt – bis mich die Fanfare eines mit Grand-Prix-Geschwindigkeit vorbeirasenden, kirschroten Citroën 2CV wieder versönlich stimmt.
Um meinen Horizont ein wenig zu erweitern, hatte ich mich bei einer der Champagner-Kellereien angemeldet, für die Reims und das Umland weltweit berühmt ist, um ein wenig mehr über das wohl glamouröseste Produkt der Grande Nation zu erfahren. Und so rolle ich über die gekieste Einfahrt der ehrwürdigen Dommaine Pommery, lasse den Aston Martin mit knisterndem Motor zurück, betrete die heiligen Hallen des Schaumweins – und bin schlicht überwältigt!
Über 18 Kilometer erstecken sich die Kellergewölbe von Pommery durch den Kalksteinboden. In den spärlich beleuchteten Tunneln schlummern abertausende von Champagnerflaschen – von bescheidenen Standardgrößen bis hin zu Über-Magnum-Formaten für mehr als 80 Gläser, allesamt überzogen von einer Staubschicht und dem Tag ihrer Öffnung entgegenreifend. Jeder Keller trägt den Namen einer Weltstadt, in der Pommery seinen Champagner verkauft – und mit einem Mal stehe ich wieder in London, wo ich vor etwas mehr als 24 Stunden meine Reise begonnen habe.
Morgen starten mein Aston Martin und ich in den dritten und letzten Tag meiner Reise. Nach der Ruhe von Reims stürzen wir uns in den Trubel der französischen Hauptstadt, wo ein ausgesuchtes Kulturprogramm und noch bessere Begleitung auf uns wartet.
Fotos: Robert Cooper for Classic Driver © 2017