Das Foto von Rollie Free, wie er im September 1948 auf einer Vincent V2 liegend auf dem Salzsee von Bonneville mit 150,313 Meilen pro Stunde einen neuen Motorrad-Rekord aufstellte, gilt als legendärster Schnappschuss der Motorradgeschichte. Steif wie ein Brett lag er mit ausgestreckten Beinen auf seiner Maschine, nur bekleidet mit Badekappe, Strandlatschen und Badehose. Während Frees unorthodoxer, aber erfolgreicher Rekordversuch half, Vincent als Hersteller der „weltweit ersten Superbikes“ bekannt zu machen, sah Firmengründer Phil Vincent auch das Potenzial, seine mächtigen 1.000-Kubik-Maschinen in „zweirädrigen Bentleys“ zu verwandelt. Hochleistungs-Motorräder für Gentlemen, die es vorzogen, in einer Kluft aus feinstem Tweed oder Kammgarn statt gewachster Baumwolle oder Leder zu fahren.
Zu diesem Zweck entwickelte Vincent seine ausgefeilten Black Knight- und Black Prince-Modelle auf Basis der Rapide und des besonders leistungsstarken Topmodells Black Shadow. Dank modifizierter Rahmen, anders angebrachtem Ölreservoir, größeren Tanks und neuen Vergasern bestachen die Knight und die Prince mit einem weicheren und geschmeidigeren Fahrgefühl als ihre Plattformspender. Doch lag der augenfälligste Unterschied in der bemerkenswerten Optik: Mit ihrer großzügigen Verkleidung aus Glasfaser samt Beinschutz, die auch den Motor einschloss und sich bis zum Heck des Motorrads zog, boten die beiden technisch weitgehend identischen Modelle ein bis dahin noch nicht erlebtes Niveau an Schlechtwetterschutz – und Eleganz.
Die Motorräder von Vincent waren bekannt für ihren Innovationsreichtum. Zum Beispiel waren die Fußstützen und Sitze verstellbar und die Motoren hatten eine mittragende Funktion, sodass sich Unterrohre erübrigten. Und die Knight und Prince machten keine Ausnahme. So ließ sich zum Beispiel der hintere Teil der Verkleidung zu Wartungszwecken hochklappen, das vordere Schutzblech fungierte nebenbei als Hilfsstütze, um Radwechsel zu erleichtern und ein großer, vertikaler Hebel ermöglichte es dem Fahrer, das Motorrad stilvoll auf seinen Mittelständer zu hieven, ohne dass absteigen zu müssen. Jede Vincent V2 ist ziemlich rar – insgesamt wurden nur 6.852 gebaut. Doch die Black Knight und Black Prince gehören mit 101 beziehungsweise 132 Exemplare zu den wirklich besonders seltenen Modellen, die das Werk in Stevenage bis zu seiner Schließung eine Woche vor Weihnachten 1955 produzierte.
Unter diesen allerletzten Exemplaren war auch diese hier fotografierte, wunderschöne Vincent Black Prince, die zwei Drittel ihres Motorradlebens abseits der Straße verbrachte und anders als die meisten Vincents noch nahezu alle Matching Numbers-Komponenten mit sich führt. Neu zugelassen wurde sie im Juni 1956 auf einen gewissen William Noble aus Falmouth, ging dann durch die Hände von drei weiteren Besitzern, ehe sie 1963 von Roy Drawater gekauft wurde. Der fuhr sie vier Jahren, um sie dann in vier große Stücke zu zerlegen und sorgfältig – sprich trocken – einzulagern.
Man könnte annehmen, dass es seine Intention war, das gute Stück einmal gründlich durchzuchecken und aufzumöbeln – seine Motorradkluft, die Handschuhe und die Vincent Betriebsanleitung wurden zumindest neben dem Bike liegend gefunden –, doch wie viele Automobil- und Motorrad-Besitzer nur zu gut wissen, können Tage schnell zu Wochen, Monaten und Jahren werden. Und es können Jahrzehnte vergehen, ehe sich die Chance ergibt, bis man endlich mal dazu kommt, sich „der Sache“ anzunehmen.
In diesem Fall schlummerte die auseinandergenommene Black Prince unfassbare 47 Jahre vor sich hin, bis man sie aus ihrem Versteck befreite und 2014 auf Initiative von Drawaters Schwager auf einer Bonhams-Auktion zum Verkauf anbot. Obwohl nur in ihren Einzelteilen offeriert, erzielte sie einen damaligen Weltrekord in Höhe von 91.100 Pfund Sterling. In den inzwischen fünf verstrichenen Jahren sind die Preise für die lange unterbewerteten Vincent Black Knight und Black Prince stetig gestiegen. Wahrscheinlich, weil ihr ungewöhnliches Design und die hohe Alltagstauglichkeit in breiterem Maße anerkannt werden. Oder weil Sammler sie als mittlerweile Designikonen des 20. Jahrhunderts und rasante Kunstwerke betrachten. Seit der Auktion vor fünf Jahren wurde dieses spezielle Exemplar vom führenden Vincent-Restaurateur Mick Cook in ein Motorrad verwandelt, das mit dem Prädikat „größer als sie Summe seiner Teile“ nur unzureichend beschrieben wäre. Vielmehr ist es eines der fraglos famosesten Beispiele für eine „Bentley auf zwei Rädern“.
Von der stromlinienförmigen Heckverschalung bis zum „geraden“ Vincent-Lenker und dem in das Armaturenbrett der Prince integrierten 150-Meilen-Tacho hat Cook das gesamte Motorrad akribisch und sympathisch restauriert. So konsequent, dass man den Zustand des Bikes als „wie fabrikneu“ bezeichnen kann. Und wenn Sie sich mit der Idee anfreunden können, sich in stilvoller Kluft auf den komfortablen Sattel eines Motorrads zu schwingen, das ihnen ein wahrlich königliches Gefühl beschert – dann sollten sie zum Showroom von Graeme Hunt in Battersea, London eilen, wo diese fürstlich restaurierte Vincent Black Prince auf ihren neuen Besitzer wartet.
Photos: Calvert Studios © 2019