„Wir hatten alle Mühe, die knapp 600 PS starken Boliden überhaupt auf der Strecke zu halten.“
Herr Herrmann, Sie sind heute 85 Jahre alt und blicken auf eine unglaubliche Motorsport-Karriere zurück. Wie sind Sie eigentlich nach dem Kriegsende zum Rennsport gekommen?
Ich war schon als Kind vom Automobil angesteckt. In der Schule rangierten Lokführer, Schiffs- oder Flugkapitän bei den Berufswünschen der Buben an erster Stelle. Doch ich wollte immer nur eines: Rennfahrer werden. Carracciola und Rosemeyer waren meine großen Vorbilder. Doch wie sollte ich jemals dorthin gelangen? Schließlich bin ich 1928 geboren und musste zunächst befürchten, noch als Kind zur Wehrmacht eingezogen zu werden. Es gelang mir jedoch, 1946 den Führerschein zu bestehen und mich mit einem kleinen Fuhrunternehmen selbständig zu machen. Mein erstes Auto war ein Wartburg mit einem 0,8-Liter-Motor. Stellen Sie sich das mal heute vor! Doch ich liebte das Autofahren und der kleine Betrieb florierte. Schon 1952 konnte ich mir das erste eigene Renngerät kaufen: einen Porsche 356.
Porsche kam also nicht auf Sie, sondern Sie auf Porsche?
Beides ist richtig. Denn ich fuhr bei sogenannten Langstreckenfahrten noch im selben Jahr mit meinem eigenen Wagen einigermaßen erfolgreich, so dass Porsche auch auf mich aufmerksam wurde. Dort im Werksteam fiel ein Fahrer aus und so wurde ich direkt für Le Mans im Jahr 1953 engagiert. Aus heutiger Sicht doch eigentlich unglaublich. Doch genau so war es: Das Gespann Glöckler/Herrmann ging als zweites Team für Porsche an den Start. Ich hatte ein Riesenglück damals.
Und Erfolg, denn schnell erkannte auch Mercedes ihr Talent – doch Sie kehrten am Ende Ihrer Karriere wieder zu Porsche zurück. Wie war das 1969 in Le Mans?
Das war Motorsport am Limit. Nicht etwa, weil die Fahrzeuge unzuverlässig gewesen wären, nein. Doch die Rennen waren extrem schnell, die Aerodynamik der Rennwagen noch nicht ausklügelt. Wir hatten alle Mühe, die knapp 600 PS starken Boliden überhaupt auf der Strecke zu halten. 1969 lieferten Jacky Ickx im GT40 und ich uns am Ende des Rennens ein messerscharfes Duell. Eineinhalb Stunden überholten wir uns pro Runde mehrmals gegenseitig. Meine Vorderbremse war dabei von den Strapazen des Rennens gezeichnet und nicht mehr voll funktionstüchtig. Mensch, war das heikel. Doch ich vermutete damals, dass auch Jacky mit Problemen zu kämpfen hatte. Wir hielten beide durch und blieben draußen auf der Strecke. Am Ende gewann er mit 1,5 Sekunden Vorsprung. Nach 24 Stunden Vollast im absoluten Grenzbereich.
Und ein Jahr später, mit welchem Gefühl gingen Sie 1970 an den Start?
Zunächst mit einem sehr guten Gefühl. Denn das Auto, der Porsche 917 Kurzheck, war ausgezeichnet präpariert und erwies sich schon zuvor als zuverlässig. Doch die Zuversicht änderte sich rasch. Warum? Nun, das Wetter war eine ungeheure Katastrophe. Ständig änderte sich die Wetterlage. Schlagartig Regen und eine nasse Strecke. Dann Sonne. Dann wieder zwei Stunden Regen. Wenigstens traf es alle Teams gleichermaßen. Die Porsche-Crew rotierte und packte ständig neue Reifensätze aus und wieder ein und aus. Richard Attwood und ich wollten es aber unbedingt wissen. Am Ende gelang uns tatsächlich der Coup – wir gewannen auf Startnummer 23 das Gesamtklassement. Meine Güte, der erste Gesamtsieg für Porsche!
Und Sie beendeten Ihre Motorsport-Karriere prompt auf dem Höhepunkt. Und damit auch dort, wo Sie ursprünglich begannen. Rückblickend, Herr Herrmann, was war das beste Auto für Sie in Ihrer Renngeschichte?
Ja, nach knapp zwei Jahrzehnten, tollen Erfolgen, aber auch schweren Unfällen, wollte ich das Schicksal nicht weiter herausfordern. Was sollte nach einem Gesamtsieg in Le Mans noch kommen? Ich habe in Le Mans begonnen und hier wollte ich meine Karriere auch beenden. Mit dem Sieg stand das für mich fest. Und die Frage nach dem besten Auto kann ich nur so beantworten: das beste Auto ist immer das, mit dem man gewinnt. Eigentlich ganz einfach!
Fotos: Frank Ratering, Porsche